Innere Unruhe bis hin zu Panikattacken ist häufig mit einem beschleunigten Herzschlag und erhöhtem Blutdruck verbunden. Ursache ist eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Nachfolgend erfahren Sie, wie Sie das vegetative Nervensystem mit einer einfachen Stimulation des Nervus vagus wieder beruhigen können.
Zu uns in die Cardiopraxis kommen häufig Menschen, die über anfallsartige innere Unruhe bis hin zu Panikattacken berichten. Diese Anfälle sind häufig auch mit Herzrasen und einem erhöhten Blutdruck, gelegentlich auch mit Herzstolpern verbunden.
Diese Konstellation ist Ausdruck einer Verschiebung des Gleichgewichts im autonomen Nervensystem zugunsten des Nervus sympathikus. Problematisch ist, dass es sich um einen selbstverstärkenden Prozess handelt: Innere Unruhe und Herz-Kreislaufsymptome verstärken innere Unruhe und Herz-Kreislaufsymptome, ein Teufelskreis.
Um den Teufelskreis der sympathischen Aktivierung zu durchbrechen, erfahren Sie, wie Sie das Gleichgewicht im autonomen Nervensystem mit einem einfachen Manöver zugunsten des Nervus vagus verschieben können.
Autonomes Nervensystem und vagale Manöver
Wesentliche Prozesse in unserem Körper werden unbewusst durch das autonome Nervensystem gesteuert, dem Wechselspiel zwischen dem aktivierendem Nervus sympathikus und beruhigendem Nervus vagus. Je nach situativem Bedarf überwiegt mal der Nervus sympathikus, zum Beispiel bei körperlicher und geistiger Aktivität oder mal der Nervus vagus, zum Beispiel bei der Verdauung nach dem Essen.
Wenn der Nervus sympathikus in körperlicher Ruhe übersteuert, dann kann dieser Erregungszustand durch sogenannte vagale Manöver moduliert beziehungsweise durchbrochen werden. Zu diesen zählen zum Beispiel der beidseitige feste Druck auf die geschlossenen Augen, der einseitige Druck auf die Halsarterie (Arteria carotis), das Trinken von Eiswasser, körperliche Umkehrpositionen (zum Beispiel Kopfstand) und das Valsalva Manöver. Gerade das Valsalva Manöver wird von Ärzten, zum Beispiel auf der Notaufnahmestation zur Beendigung von supraventrikulären Tachykardien eingesetzt.
Durchführung eines Valsalva-Manövers mit einfachen Hilfsmitteln
Das Valsalva-Manöver können Sie im Bedarfsfall auch zu Hause durchführen. Dazu brauchen Sie Sie sich nicht eines der teuren Blasröhrchen (zum Beispiel Hoki, Lovetuner) zu kaufen. Das Wirkprinzip basiert entscheidend auf dem Valsalva-Manövers, ein Kugelschreiber genügt schon.
So gehen Sie vor:
- dicker Kugelschreiber
- Druckmechanismus und Kugelschreibermine entfernen (Hohlraum: Durchmesser 5-10 mm, Länge 5-10 cm)
- Hohlraum zwischen Spitze und stumpfem Ende des Kugelschreibers
- legen Sie sich auf den Rücken und lagern sie möglichst die Beine hoch
- nehmen Sie den modifizierten Kugelschreiber mit der Spitze in den Mund
- einatmen durch die Nase in den Bauch
- langsam ausatmen durch das Röhrchen (Ausatemzeit 15 Sekunden!)
- Ausatmung leicht muskulär aktiv über den Brustkorb
- spannen beim Ausatmen den Beckenboden an und entspannen Sie den Beckenboden bei der Einatmung
- insgesamt 6-12x durchführen
Was können sie noch tun?
Ziel ist es den venösen Druck im venösen System zu steigern.
Trinkmenge
- achten Sie grundsätzlich auf eine adäquat hohe Trinkmenge von 30 ml pro kg Körpergewicht und Tag
- trinken Sie bei einem „Anfall“ 2 große Gläser kaltes Wasser
Beinhochlagerung
- legen Sie sich an ein Türblatt
- lagern Sie die Beine mindestens 450 hoch, optimal 900 Hochlagerung (Yoga: Viparita Karani Position)
- Autotransfusion = Verlagerung von 500-800 ml Blut aus den Beinen in Bauch- und Brustraum
- Dauer 20-30 Minuten (Zeitraum in dem aktivierende Neurotransmitter abgebaut werden)
- Atmung immer wieder mal durch das Röhrchen
Ein Luftballon
- wenn kein Kugelschreiber zur Hand ist
- Aufblasen eines Luftballons generiert einen Druck von 7,5-75 mmHg
- Luftballon mehrmals aufblasen
Wann können vagale Manöver helfen?
Vagale Manöver können bei verschiedenen Symptomen helfen, zum Beispiel:
Innerer Unruhe, anfallsartige Angst und Panikattacken
- schon das ruhige Atmen mit Steigerung des CO2-Wertes im Blut hilft hier schon weiter
Anfallsartig erhöhter Bluthochdruck und/oder Sinustachykardie
- vagale Manöver können erhöhten Blutdruck und Herzfrequenz senken
- besonders wirksam, wenn erhöhter Bluthochdruck und/oder Sinustachykardie in Ruhe auftritt, zum Beispiel abends auf dem Sofa
Herzstolpern
- die Häufung einzelner elektrischen Extrasystolen (Herzstolpern) kann über eine Reduktion des Symphatikotonus verringert werden
- Vorhofflimmern, Vorhofflattern und Herzhauptkammertachykardien, sogenannte ventrikuläre Tachykardien können nicht durch vagale Manöver durchbrochen werden
Sonderfall AV-Knoten Reentrytachykardie
- AV-Knoten Reentrytachykardie = regelmäßiges Herzrasen aus der Vorkammer, Herzfrequenzen meistens zwischen 140-220 Schläge pro Minute
- reagiert typischerweise gut auf Valsalva Manöver
- Erfolgsquote circa 40-50%, wenn Valsalva Manöver richtig durchgeführt wird (siehe unten)
- Bei Nicht-Erfolg andere vagale Manöver in Erwägung ziehen: fester Augendruck auf geschlossene Augen, Eiswasser trinken, körperliche Umkehrposition (z.B. Kopfstand)
Kritische Anmerkung zu vagalen Manövern
Vagale Manöver sind gerade bei erstmaligen Anwendungen eine Notfallmaßnahme beziehungsweise eine Ergänzung. Sie dürfen bei medizinisch-relevanten Störungen, wie zum Beispiel Herzrhythmusstörung oder Bluthochdruck etablierte Maßnahmen, zum Beispiel die Einnahme von Medikamenten, die möglicherweise eine höhere Erfolgsquote haben, zeitlich nicht relevant verzögern.
Bei medizinisch relevanten Befunden bzw. Symptomen müssen im Bedarfsfall die Regeln der ärztlichen Konsultation bis hin zur Notfallalarmierung beachtet werden. Mit dem Arzt vereinbarte medizinische Maßnahmen, zum Beispiel die Einnahme von Bedarfsmedikation müssen eingehalten werden
Im Zweifel, immer eine Ärztin oder einen Arzt konsultieren.
Weitere Erläuterungen für Interessierte – Wirkmechanismen des Valsalva Manövers
Interessierte finden nachfolgend noch einige Erläuterungen zum Valsalva Manöver.
Wie wird das Valsalva Manöver korrekt durchgeführt?
Gerade das Valsalva Manöver, benannt nach dem italienischen Anatomen Antonio Maria Valsalva (1666–1723) wird in der Notfallmedizin regelmäßig eingesetzt, um sogenannte supraventrikuläre Tachykardien zu beenden.
Regelmäßige supraventrikuläre Tachykardien sind schmal-komplexe Herzrhythmusstörungen, die ihren Ursprung in den Herzvorkammern haben. Ein Beispiel ist die sogenannte AV-Knoten Reentry-Tachykardie. Zur Aufrechterhaltung des Herzrasens bedarf es einer schnellen elektrischen Leitung im sogenannten AV-Knoten. Vagale Manöver bremsen die elektrische Leitung im AV-Knoten und können so das Herzrasen beenden. Ausgenommen hiervon sind Vorhofflimmern und Vorhofflattern.
Mit dem Valsalva Manöver lassen sich zum Beispiel supraventrikuläre Tachykardien in bis zu 40-50% der Fälle beenden, ohne dass Medikamente erforderlich sind. Problematisch ist, dass das Valsalva Manöver häufig nicht korrekt durchgeführt wird.
Bei einem korrekt durchgeführte Valsalva Manöver wird in Rückenlage gegen einen Widerstand von 40 mmHg für 15 s ausgeatmet beziehungsweise mittels Ausatmung gegen den geschlossenen Kehldeckel ein Druck aufgebaut.
Die Rückenlage ist hierbei besonders wichtig, weil in Rückenlage beziehungsweise auch bei passiver Beinhochlagerung vermehrt venöses Blut in den Brustraum fließt, was wiederum den vagalen Effekt des Valsalva Manövers verstärkt.
Wirkung des Valsalva Manövers – system-arterieller Kreislauf
Das Valsalva Manöver wird in Bezug auf den system-arteriellen Kreislauf in 4 Phasen eingeteilt.
- Phase I. Zu Beginn des Manövers, wenn der Druck im Brustkorb und Bauchraum durch das Pressen steigt, wird Blut aus dem Herzen in die Arme gepresst. Dies führt kurzzeitig zu einem Anstieg des system-arteriellen Blutdrucks.
- Phase II. Während des anhaltenden Pressens pumpt das Herz weniger Blut mit jedem Schlag. Der arterielle Blutdruck kehrt allmählich zum Normalwert zurück, da der venöse Rückfluss zum Herzen durch den erhöhten intrathorakalen Druck verringert wird.
- Phase III. Beim Entspannen am Ende des Manövers steigt die Herzfrequenz kurzzeitig an, da der Druck im Brustkorb sinkt und der venöse Rückfluss zum Herzen sich kurzzeitig erhöht.
- Phase IV. In der Erholungsphase strömt das Blut zurück zum Herzen, was zu einem vorübergehenden Anstieg des Blutdrucks führt. Anschließend normalisieren sich der Blutdruck und die Herzfrequenz wieder, unterstützt durch die Stimulation des Baroreflexes, die zu einer Bradykardie führen kann.
Wirkung des Valsalva Manövers – system-venöser Kreislauf und rechte Herzvorkammer
Entscheidend für die vagale Wirkung des Valsalva-Manövers ist die Wirkung auf den system-venösen Kreislauf und die Herzvorkammer über eine Veränderungen des Drucks im venösen Kreislauf.
- verlangsamte Atmung (verlängerte Ausatmung) gegen erhöhten Widerstand (optimal 40 mmHg)
- Steigerung des Drucks in der Lunge
- Reduktion des Abstroms von venösem Blut in die Lunge
- Steigerung Druck im Venensystem des Bauches
- Aktivierung von Dehnungs- und Druckrezeptoren große untere Hohlvene (Vena cava) und rechter Vorhof
- Aktivierung Nervus vagus
- Verringerung von Herzfrequenz + Blutdruck und Beruhigung
Das Atemmanöver wird bei richtiger Ausführung durch die Horizontallage unterstützt, weil zusätzlich venöses Blut leichter aus den Beinen in den Bauchraum fließen kann. Unterstützt wird die Steigerung des Drucks im Venensystem des Bauchraums, indem Sie mit der Ausatmung den Beckenboden anspannen.
Wirkung verlangsamte Atmung mit verlängerter Ausatmung – Atemgase
Innere Unruhe bis hin zu Panikattacken, aber auch bei Herzkreislaufsymptomen, wie zum Beispiel Herzrasen und erhöhter Blutdruck sind häufig mit einer sogenannten Hyperventilation verbunden. Das heißt, dass Sie dann schneller und in der Regel flacher atmen. Das wiederum hat zur Folge, dass der Kohlendioxidgehalt (CO2) im Blut abfällt, was wiederum eine Verengung der Blutgefäße bewirkt (Bohr-Effekt) und folglich den Stress steigert.
Eine verlangsamte Atmung, zum Beispiel durch das Röhrchen bewirkt:
- CO2-Wert im Blut steigt an
- Blutgefäße erweitern sich
- Blutdruck fällt ab
- Stress verringert sich
Das sind ähnliche Mechnismen, die auch beim Apnoetraining wirksam werden, und die Sie ebenfalls mit einer einfachen Übung trainieren können.
Im Alltag sollten Sie auf eine richtige Atemtechnik achten, das bedeutet Ein- und Ausatmung nur durch die Nase in Verbindung mit einer Bauchatmung. Sie können diese Nasen-Zwechfellatmung in den Bauch mit Hilfe eines Medizinballs sehr einfach über und mit gymnastischen Übungen auch das Zwechfell stärken.
Literatur
- Appelboam A, Reuben A, Mann C, Gagg J, Ewings P, Barton A, Lobban T, Dayer M, Vickery J, Benger J. Postural modification to the standard Valsalva manoeuvre for emergency treatment of supraventricular tachycardias (REVERT): a randomised controlled trial. Lancet. 2015;386:1747–1753.
- Gelman S et al. Catecholamine‐induced changes in the splanchnic circulation affecting systemic hemodynamics. Anesthesiology. 2004;100:434–439
- Gelman S. Venous function and central venous pressure: a physiologic story. Anesthesiology. 2008;108:735–748
- Nishimura RA et al . The Valsalva maneuver and response revisited. Mayo Clin Proc 1986;61:211-217
- Smith G, Boyle M. The 10ml syringe is useful in generating the recommended standard of 40mmHg intrathoracic pressure for the Valsalva manoeuvre.Emerg Med Aust 2009; 21: 449–54.
- Taylor MD et al. Incorrect instruction in the use of the Valsalva manoeuvre for paroxysmal supra-ventricular tachycardia is common. Emerg Med Australas 2004;16:284-7.
- Thornton HS et al. Valsalva using a syringe: pressure and variation. Emerg Med J. 2016 Oct;33:748-9.
Video-Links
Produkt-Links
Wir haben neben dem Kugelschreiber einige kommerzielle Produkte für das vagale Manöver mit dem Blasröhrchen getestet, mit denen bei der Ausatmung messtechnisch ungefähr ein Druck von 40 mmHg aufgebaut wird. Nachfolgend die Favoriten.
- Fiada-Halskette. Sehr guter Preis. Effizient. Halskette nicht optimal, muss gegebenenfalls durch 6 mm Kugelkette ersetzt werden.
- Lovetuner. Sehr teuer. Vorteile: kann mit und ohne Ton genutzt werden, gute Halskette
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