
Liebe Patientinnen und Patienten,
zum Ende des Jahres wird es oft ein wenig stiller – und damit auch nachdenklicher. Hinter uns liegen viele Monate mit intensiver Arbeit, zahlreichen Gesprächen, wichtigen Entscheidungen und nicht selten schwierigen Situationen. Wir durften viele von Ihnen medizinisch begleiten: in Phasen der Sorge, der Unsicherheit, oft auch der Erleichterung und des Neuanfangs.
Gerade in der Kardiologie bedeutet jede Entscheidung Verantwortung – für Ihre Gesundheit, Ihre Belastbarkeit im Alltag und Ihre Zukunft. Dieses gemeinsame Unterwegssein prägt unser Jahr. Ich bin dankbar für viele beeindruckende Begegnungen, froh über die großen Erfolge der modernen Medizin und zugleich demütig angesichts ihrer Grenzen.
Umso wichtiger erscheint es mir zum Jahresende, bewusst innezuhalten und der eigenen Familie wie auch sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Advents- und Weihnachtszeit bringt für viele Menschen eine besondere Mischung aus Gemütlichkeit, festlichen Mahlzeiten und manchmal auch etwas Hektik. Für Herz und Kreislauf ist diese Zeit in der Regel gut zu bewältigen – wenn man ein paar einfache, aber wirkungsvolle Prinzipien berücksichtigt.
1. Genussvoll essen – aber herzbewusst
Essen ist in der Weihnachtszeit weit mehr als reine Nahrungsaufnahme. Es ist Teil von Tradition, Gemeinschaft und Lebensfreude. Aus kardiologischer Sicht geht es daher nicht um Verzicht, sondern um Maß und Bewusstsein.
Salz – oft unterschätzt
Ein hoher Salzkonsum führt bei vielen Menschen zu einem Anstieg des Blutdrucks, bei herzinsuffizienten Patientinnen und Patienten zusätzlich zu vermehrter Flüssigkeitseinlagerung. Gerade an aufeinanderfolgenden Festtagen kann sich dieser Effekt deutlich summieren.
Praktisch bedeutet das:
- Nachsalzen möglichst vermeiden
- Fertige Soßen, gepökelte Speisen und stark verarbeitete Produkte begrenzen
- Kräuter und Gewürze bevorzugen
Schon kleine Reduktionen können messbare Effekte auf den Blutdruck haben.
Fett – Qualität vor Quantität
Nicht jedes Fett wirkt gleich auf Herz und Gefäße. Ungesättigte Fettsäuren, wie sie in Olivenöl, Nüssen oder fettem Seefisch vorkommen, haben günstige Effekte auf Lipidprofil und Gefäßfunktion. Demgegenüber stehen größere Mengen gesättigter Fette aus stark verarbeiteten Fleisch- und Backwaren, die insbesondere bei bestehender Fettstoffwechselstörung ungünstig wirken können.
Zucker und „schwere“ Mahlzeiten
Sehr zuckerreiche oder extrem kalorienhaltige Speisen führen zu raschen Anstiegen von Blutzucker und Triglyzeriden. Diese sind kurzfristig meist gut kompensierbar, belasten jedoch Stoffwechsel und Gefäßsystem – vornehmlich bei Diabetes, Prädiabetes oder metabolischem Syndrom.
Langsameres Essen, kleinere Portionen und bewusste Pausen sind oft hilfreicher als strenge Regeln.
Alkohol – individuell unterschiedlich relevant
Alkohol beeinflusst Herzfrequenz, Blutdruck und das vegetative Nervensystem. Manche Menschen reagieren kaum, andere entwickeln bereits nach kleinen Mengen Herzstolpern, Blutdruckanstiege oder Schlafstörungen.
Besonders relevant ist dies bei:
- Vorhofflimmern oder bekannter Rhythmusneigung
- Herzinsuffizienz
- Blutdruckerkrankungen
- gleichzeitiger Einnahme bestimmter Medikamente
Hier gilt: bewusst entscheiden – nicht automatisch mittrinken.
Fazit: Nicht der einzelne Festtag ist entscheidend, sondern das Gesamtbild über mehrere Tage. Maßhalten ist kein Verzicht, sondern eine Form der Selbstfürsorge.
2. Bewegung – kleine Einheiten, große Wirkung
Bewegung ist einer der stärksten prognostischen Faktoren für die Herz-Kreislauf-Gesundheit – und zugleich einer der meist überschätzten im Sinne von „es muss anstrengend sein“.
Bewegung nach dem Essen
Ein kurzer Spaziergang von 10–15 Minuten nach einer Mahlzeit verbessert:
- postprandiale Blutzuckerwerte
- Insulinsensitivität
- Gefäßfunktion
- subjektives Wohlbefinden
Gerade nach üppigeren Mahlzeiten ist dies eine einfache und sehr effektive Maßnahme.
Alltag statt Trainingsplan
Nicht jeder möchte oder kann in der Weihnachtszeit Sport treiben. Entscheidend ist:
- regelmäßige Aktivierung des Kreislaufs
- Vermeidung längerer Sitzphasen
- kleine Belastungen über den Tag verteilt
Treppensteigen, kurze Wege zu Fuß oder leichte Dehnübungen reichen völlig aus, um den Stoffwechsel aktiv zu halten.
Kälte und Training
Kälte reduziert die muskuläre Leistungsfähigkeit und erhöht die kardiale Belastung. Für regelmäßig Trainierende gilt daher:
- längeres Aufwärmen
- etwas geringere Intensität
- bewusstes Achten auf Körpersignale
Leistungseinbußen im Winter sind physiologisch und kein Zeichen mangelnder Fitness.
3. Stress im Advent entschärfen
Psychischer Stress ist ein relevanter, oft unterschätzter kardiovaskulärer Risikofaktor. Er aktiviert das sympathische Nervensystem, steigert Blutdruck und Herzfrequenz und kann Herzrhythmusstörungen begünstigen.
Warum Stress das Herz betrifft
Chronischer oder akuter Stress:
- erhöht die Katecholaminfreisetzung
- verschlechtert die Blutdruckkontrolle
- kann Herzstolpern oder Brustdruck auslösen
- beeinträchtigt Schlaf und Regeneration
Gerade zum Jahresende kommen berufliche, familiäre und organisatorische Belastungen häufig zusammen.
Einfache, wirksame Maßnahmen
- Atemübungen: Längeres Aus- als Einatmen (z. B. 4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus) kann Puls und innere Anspannung senken.
- Pausen bewusst setzen: Auch wenige Minuten ohne Reizüberflutung wirken regulierend.
- Erwartungen reduzieren: Perfekte Feiertage sind kein medizinisches Ziel.
Viele Patientinnen und Patienten berichten, dass allein das bewusste Zulassen von Unvollkommenheit bereits entlastend wirkt.
4. Winterkälte und Herz – worauf achten?
Kälte stellt für das Herz eine zusätzliche Belastung dar, insbesondere bei bestehenden Herz- oder Gefäßerkrankungen.
Physiologische Effekte der Kälte
- Vasokonstriktion mit Blutdruckanstieg
- erhöhte Herzarbeit
- gesteigerter Sauerstoffbedarf des Myokards
Dies erklärt, warum Angina-pectoris-Beschwerden im Winter häufiger auftreten.
Praktische Empfehlungen
- warme, winddichte Kleidung
- Schal vor Mund und Nase zur Erwärmung der Atemluft
- plötzliche starke Belastungen vermeiden
Besonders das Schneeschaufeln gilt als klassischer Auslöser kardialer Ereignisse, da kalte Luft, Pressatmung und ungewohnte Belastung zusammenkommen.
5. Dauermedikation – gerade jetzt zuverlässig
Therapietreue ist einer der wichtigsten prognostischen Faktoren bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gerade an Feiertagen geraten Routinen jedoch leicht durcheinander.
Worauf achten?
- Medikamente wie verordnet weiter einnehmen
- möglichst feste Einnahmezeiten beibehalten
- Vorräte frühzeitig prüfen
Alkohol und Medikamente
Alkohol kann die Wirkung vieler Herzmedikamente beeinflussen, unter anderem von:
- Betablockern
- Antihypertensiva
- Antikoagulanzien
Mögliche Folgen sind Blutdruckschwankungen, Schwindel oder eine erhöhte Blutungsneigung.
Zum Schluss
Die Feiertage sind keine medizinische Prüfung. Sie sind eine Zeit, in der Leben, Begegnung und Erholung im Vordergrund stehen dürfen. Wenn dabei ein paar einfache, herzschonende Prinzipien berücksichtigt werden, ist diese Zeit für die meisten Menschen gut und sicher zu genießen.
Man wird nicht dick zwischen Weihnachten und Neujahr – sondern zwischen Neujahr und Weihnachten.
Wir wünschen Ihnen eine ruhige, besinnliche Weihnachtszeit, gute Erholung und einen gesunden Start ins neue Jahr.
Bleiben Sie achtsam mit sich.
Für die Cardiopraxis, herzlich
Dr. Volker Schulze

